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Richard Powers: Orpheo

Aktualisiert: 24. Aug. 2023

|Erstveröffentlichung 2022| Literatur & Film durch das Sternenglas betrachtet Teil 3



Peter Els ist die wassermannbetonte Hauptfigur des Romans. Ob eine wassermannbetonte Person wirklich im Sternzeichen Wassermann geboren ist, kann man nicht sagen. Peter Els kann ebenso mit der Sonne im Zeichen Fische geboren worden sein und Merkur und Venus standen vielleicht in Wassermann direkt am Aszendenten Wassermann. Es gibt viele Möglichkeiten, eine große Tendenz zur Verwirklichung von Wassermannthemen aufzuweisen. Sehen wir uns diese Figur und das fulminante Buch an, um zu studieren, wie der Archetypus Wassermann in einem Leben wirken kann.

Im Buch von Powers geht es um Musik, um Kreativität, um die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, um Entwicklungen in Kunst und Gesellschaft. Faszinierdenderweise geht es EIGENTLICH um das echte mögliche Leben des Peter Els, welches Powers unglaublich fesselnd vom Aufwachsen des Kindes bis zu den spektakulären Ereignissen in seinen Rentnerjahren beschreibt. Was Peter Els im Alter von etwa 70 Lebensjahren passiert, kann ich ja nicht verraten. Aber ich habe nicht viele Bücher über fast die gesamte Strecke mit so gespannt geweiteten Augen verfolgt wie diesen …. Kriminalfall? … der vielleicht keiner ist. Peter Els ist Musiker geworden, er komponierte Neue Musik. Ich bin bisher kein Fan von den Komponist*innen der letzten hundert Jahre gewesen. Jetzt habe ich eine kleine Liste von Werken, die ich unbedingt hören muss. So verblüffend beschreibt der Roman einzelne Stücke und deren Entstehung, dass der Drang so groß wird, sie zu hören, wie der Drang, jetzt gleich Schokolade haben zu müssen, wenn jemand gut beschreibt, wie der Schmelz und die Aromen seinen Gaumen füllen. Peter Els hätte auch Chemiker werden können. Seine Leidenschaft und seine Fähigkeiten erlauben ihm tiefes Verständnis beider Metiers. Was Els dann in seiner Rente als Vereinigung beider Fachrichtungen versucht, führt zum spektakulären Ende, welches Powers vorhersehbar und spannend zugleich mit dem tiefen Eintauchen in das Leben des Peter Els verbindet. Wenn wir uns Peter Els nähern, nähern wir uns dem Archetypus Wassermann so intensiv, dass man fast den Eindruck hat, Powers ging es beim Schreiben einzig um die Beschreibung dieses Archetypus.

Els als Kind: Kein gewöhnliches Kind. Natürlich ist niemand ein gewöhnliches Kind. Bei Els fügt sich aber bereits im Bubenalter kein Zusammensein mit anderen in erwartbare Formen, was auf Wassermann hindeutet. Seine Begeisterungsfähigkeit beschränkt sich alsbald ausschließlich auf bestimmte klassische Musiken, die anderen Kindern seines Alters unzugänglich sind. Wassermann in uns ist nicht auf den Beifall anderer angewiesen. Wassermann ist dafür zuständig, dass wir uns unseren (eigen-artigsten) Vorlieben zuzuwenden. Sein Bruder fesselt ihn einmal auf einen Stuhl, damit er die Rockmusik hören muss, die alle anderen so begeistert. Els versteht sie nicht. Er bleibt auf seiner Spur, Musik erforschen, durchdringen und schließlich in seinen Kompositionen auch verändern und weiterentwickeln zu wollen. Sein Leben lang lässt ihn EINE Frage nicht los, … . Aber diese brauche ich gar nicht zu verraten, um das wassermanntypische zu illustrieren: Es geht um die Suche nach einer Art von wassermännischer Perfektion, die Els´ Leben begleitet und bestimmt. All seine Beziehungen werden dem Streben nach der Frage seines Lebens untergeordnet. Es ist die Art von Frage, die allein Wassermann in uns stellen kann. Sie hat nichts mit der Frage nach menschlicher Nähe, nach Versorgtsein oder Sicherheit, nach Schönheit, nach Ordnung, nach Geborgenheit, nach Erfolg oder nach persönlichen Überzeugungen zu tun. Wassermann fragt nach dem Ideal, nach den noch möglichen Entwicklungen, nach emotional nicht beeindruckbarem vollkommenen Sein. Eine Ehe und die Beziehung zu einem Kind halten diese Ausschließlichkeit so wenig aus wie Uranus selbst, der Gott der Frühzeit und planetarische Herrscher von Wassermann. Uranus´ Frau Gaya war in einem so hohen Maß frustriert über die emotionale Unerreichbarkeit des Gatten, dass sie seiner Ermordung Vorschub leistete. Mit den kleinen Titanen und Zyklopen, die er mit ihr zusammen gezeugt hatte, konnte er keine elterliche Beziehung aufbauen. Aber Els ist natürlich ein Mensch und kein Archetyp, kein Gott. Wir erleben mit ihm, wie er seine menschlichen Bedürfnisse, die über Wassermann hinausgehen, mit sich herumschleppt. Wir erleben hautnah, wie er sich ihnen entzieht, die Ehe aufs Spiel setzt und Kränkungen durch Freunde hinnimmt, wenn sie der Entwicklung seiner Kunst dienen. Wie linkisch er vielen Bedürfnissen seiner Seele gegenübersteht, die er meint allein mit seiner Kunst nähren zu können.

Ob das Buch „gut“ ausgeht? Finde das unbedingt selbst heraus. Es lohnt sich, dabei darauf zu achten, wo der Mensch Peter Els den Archetypus Wassermann für uns alle vorlebt: Alles muss machbar sein. Es lohnt sich, etwas bis zum Ende zu erforschen. Man muss sein Leben einer Sache unterordnen. Beziehungen korrumpieren uns und verhindern, dass wir die Wahrheit finden. Niemand ist wichtig, man muss sein Leben nicht wichtig nehmen. Und achte darauf, wo der Mensch am Ideal des Wassermann scheitern muss: Wenn alles machbar ist, ist nichts wichtig. Ein erforschbares Ende gibt es nicht. Ein Leben, das einer Sache vollkommen untergeordnet ist, ist kein Leben. Ohne Beziehungen sind wir nicht überlebensfähig. Die Wahrheit verändert sich. Wenn du dein Leben nicht wichtig nimmst, ist es vergeudet. Powers schafft es, den Bogen so vollkommen gespannt zu halten zwischen der Erkenntnis, dass eine Gesellschaft Menschen mit Wassermann-Fähigkeiten so dringend braucht, wie es unmöglich ist, ein Leben vollkommen danach auszurichten. Aber unter „vollkommen“ macht es Wassermann selbst halt nicht. Peter Els kennt die Frage, die Wassermann mit dem Rest der Welt verbinden könnte. Die Antwort darauf muss jede*r für sich selbst finden. Der Mensch Peter Els findet sie am Ende nicht im Wassermanntypischen. Weil keines der Sternzeichen-Energien die Lösung bietet.

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